Industriedesign oder Produktdesign – gibt es einen Unterschied?
Die Bedeutung der beiden Begriffe hat sich in den letzten Jahren schrittweise verschoben. Vor einiger Zeit war der Begriff “Produktdesign” noch ein Oberbegriff für alles was physisch produziert wird. Das schloss eigentlich alle Branchen und Themengebiete ein und fächerte sich dann in Modedesign, Spielzeugdesign und Industriedesign auf. Auf der anderen Seite gab es Kommunikationsdesign, Mediendesign, Interaction- und User Experience Design. Also nicht-physische Produkte, wenn man es wohlwollend betrachtet. Im Normalfall gehörten die Arbeitsergebnisse dieser Sparten aber nicht unbedingt zu dem, was man als “Produkt” verstehen würde und wurde daher auch nicht so bezeichnet. Soweit die aus meiner Sicht schlüssige Namensgebung in der Vergangenheit.
Inzwischen wurde der Begriff Produktdesign schleichend aus dem IT-Sektor übernommen. Wenn man heute Projektausschreibungen unter dem Label “Produktdesign” anklickt, geht es im Normalfall ausschließlich um Interaction Design oder User Interface Design – Design für Apps und Websites. Also strikt nicht-physische Produkte und damit das genaue Gegenteil der ursprünglichen Einordnung.
Wonach sucht nun die Führungskraft eines produzierenden Betriebes, die der neuen Produktlinie eine neue Form geben lassen will? Sucht sie nach Produktdesignern, findet sie gemäß der aktuellen Diktion nur UX/UI-Designer – Leute die meist wenig Ahnung haben, von maschinellen Fertigungsverfahren, Montageprinzipen und Materialeigenschaften. Von Industriedesign, was im Moment die passende Bezeichnung wäre, hat sie eventuell noch nichts gehört, oder denkt vielleicht, dass Industriedesigner ja nur Industriemaschinen entwerfen.
Durch diese Namensverwirrung kann dann auch der Eindruck von Fachkräftemangel entstehen 😉
Vor einiger Zeit wurde der Begriffsverwirrung noch eins draufgesetzt: Es gibt nun offiziell den technischen Produktdesigner als Ausbildungsberuf. Abgesehen davon, dass sich die in diesem Beruf Praktizierenden erfreulicherweise tatsächlich mit (physischen) Produkten beschäftigen und nicht mit Apps, wird hier der Eindruck erweckt, dass hier vor allem konzeptionelle und gestalterische Arbeit geleistet wird – also eine leicht abgespeckte Version des Masters oder Bachelors im Industriedesign. Wenn man weiß, dass der technische Produktdesigner die Nachfolgebezeichnung des technischen Zeichners ist, dann wird klar, dass das im Wesentlichen nicht der Fall sein dürfte.
Bis vor kurzem war zumindest der Begriff “Industriedesign” noch klar definiert: Die Gestaltung von industriell in Serienproduktion gefertigten Gütern jeglicher Branche. Inzwischen erodiert auch dieser Begriff, da er von der Möbelbranche für abgewetzt aussehende Einrichtungsgegenstände mit Industriecharme verwendet wird – also Shabby Chic mit Eisen. Es besteht aber die Hoffnung, dass zumindest diese begriffliche Unschärfe irgendwann mit dem Vergehen der Einrichtungsmode auch wieder verschwindet.
Das wäre alles nicht so kritisch, würde es nicht dazu führen, dass es damit immer schwieriger wird, im Marktumfeld klar zu kommunizieren und die richtigen Leute mit den entsprechenden Kompetenzen und Bedürfnissen zusammenzubringen.